Wollen die Familienklasse in der Gesamtschule Büren erhalten (v. l.): Lucas Hutt, Karin Strätling, Sonja Stute, Norika Creuzmann, Dagmar Hanses, Julian Stute, Josefine Paul, Benjamin Klafki und Eileen Woestmann. Foto: Lüke / Grüne Fraktion NRW
Mit Mama in den Unterricht
Zwölfjähriger aus Büren-Siddinghausen berichtet Ministerin von der Familienklasse
Büren/Paderborn/Düsseldorf
Julian Stute ist aufgeregt. Gleich wird der Zwölfjährige aus Büren-Siddinghausen von einer ungewöhnlichen Variante seines Schulunterrichts berichten. Damit findet er in Josefine Paul eine aufmerksame Zuhörerin: Die grüne NRW-Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration möchte von ihm genau wissen, was eine Familienklasse ist.
m diese Erfahrungen in allen Facetten darzustellen, haben sich Julians Mutter Sonja Stute, die Pädagogen Benjamin Klafki und Lucas Hutt, Karin Strätling (Fachbereichsleiterin des Vereins „In Via Paderborn“) und Dr. Oliver Vorndran von der Reinhard-Mohn-Stiftung auf den Weg in den Düsseldorfer Landtag gemacht. Möglicherweise macht das Projekt landesweit Schule.
Mitte September lernte Norika Creuzmann, Landtagsabgeordnete der Grünen im Kreis Paderborn, die Familienklasse in der Gesamtschule Büren kennen. „Julian muss seine guten Erlebnisse in Düsseldorf erzählen“, war sie begeistert und lud den Zwölfjährigen in den Landtag ein. „Durch die Familienklasse läuft es schon viel besser“, macht er gegenüber den grünen Landtagsabgeordneten Norika Creuzmann (Sprecherin für Kinder- und Jugendschutz), Dagmar Hanses (Sprecherin für Jugendpolitik) und Eileen Woestmann (Sprecherin für Kinder und Familie) deutlich.
Jeden Freitag heißt es auch für Julians Mutter: „Ich gehe heute in die Schule.“ Denn dann gibt es für maximal zehn Schülerinnen und Schüler eine ganz besondere Form des Unterrichts, sind doch Eltern, aber mitunter auch Großeltern oder große Geschwister mit dabei. Julian hat kein Problem damit, dass seine Mutter mit in den Unterricht kommt – im Gegenteil: Ist sie in der Nähe, kann er beispielsweise ein Blatt mit Matheaufgaben viel leichter angehen. „Ein Zettel voller Aufgaben macht ihm Angst, dann macht er den Kopf zu“, weiß Sonja Stute.
Direkte Unterstützung
In der Familienklasse schafft Julian es, sich zu sortieren und die einzelnen Schritte nacheinander abzuarbeiten. „Es ist ein gutes Gefühl. Ich weiß, dass jemand neben mir ist“, sprich Julian offen über seine Gefühlswelt. In seiner normalen Klasse mit 27 Mitschülern kann der Lehrer nicht jede Minute zu ihm kommen, „darum ist mir die Familienklasse sehr wichtig“. Auch Mutter Sonja profitiert davon. „Man kommt mit den Lehrern ins Gespräch“, erläutert sie ihre persönlichen Erfahrungen mit der Familienklasse. Viel leichter lassen sich hier die individuellen Probleme gemeinsam lösen. „Das hat uns zusammengeschweißt“, sagt sie.
Das Prinzip der Familienklasse erläutern Benjamin Klafki und Lucas Hutt. Ziel ist, gemeinsam mit Eltern, Schülern und Lehrern Ziele zu formulieren, die innerhalb einer Woche erreicht werden sollen. Das reicht beispielsweise von „mindestens viermal in der Woche melden“ bis hin zu „respektvollem Umgang“ miteinander. Ein Bewertungsbogen gibt später Auskunft, zu wie viel Prozent dieses Zeil erreicht wird.
Spielerisch ins Gespräch kommen
Übungen rahmen die Familienklasse ein, „wir kommen spielerisch ins Gespräch“, sagt Hutt. Und manchmal tauschen sich ausschließlich die Erwachsenen miteinander aus, „das ist dann auch eine Art Erziehungsberatung“, berichtet der Pädagoge. Benjamin Klafki lobt vor allem das niederschwellige Angebot: „Man muss nicht zum Jugendamt, um in den Genuss der Familienklasse zu kommen", macht er deutlich.
Ein solcher Schritt wäre für Sonja Stute wie auch für viele andere Eltern nicht in Betracht bekommen. Auch deswegen unterstützen die Eltern die Idee und strukturieren ihre Arbeit nach Möglichkeit so, dass sie teilnehmen können, sagt Benjamin Klafki. Darum ist die Familienklasse für Karin Strätling ein wichtiges Thema der Jugendhilfe: „Plötzlich läuft es zu Hause viel besser und man weiß gar nicht, warum“, berichtet sie von ihren Erfahrungen.
Die Familienklasse wird durch die Reinhard-Mohn-Stiftung ermöglicht, die vor mehr als acht Jahren gemeinsam mit Karin Strätling das Projekt auf den Weg brachte. „Das Projekt ist etabliert“, betont Dr. Oliver Vorndran. Weil die Stiftung ausdrücklich Anschubfinanzierungen fördert, stellt sich nun die Frage nach der weiteren finanziellen Unterstützung. Mit einer halben Stelle pro Schule und 20 Kindern pro Jahr werden 2000 Euro pro Kind benötigt, verweist er auf den verhältnismäßig geringen Aufwand.
Finanzierungslücke
Derzeit trägt die Bertelsmannstiftung zwei Familienklassen in Gütersloh, die beiden Klassen im Kreis Paderborn werden von der Reinhard-Mohn-Stiftung, der Karl-Bröcker-Stiftung, dem Kreis und den beiden Kommunen Büren und Hövelhof finanziert. Gleichwohl müssen noch eine Finanzierungslücke geschlossen und vor allem eine künftige Unterstützung gefunden werden.
„Das ist ein gutes Projekt“, lobt Ministerin Josefine Paul, die mehrfach bei Julian nachgefragt und sich nach Details erkundigt hat. „Die Familienklassen sind ein wirksames Konzept. Sie helfen Kindern mit Schwierigkeiten beim Arbeits- und Sozialverhalten, indem sie die gesamte Familie in den Blick nehmen und damit Schule und soziales Umfeld zusammen denken. Das hat mir das Gespräch mit Julian und seiner Mutter heute eindrucksvoll gezeigt“, so Ministerin Josefine Paul.
Für Julian Stute und seine Mutter war der Besuch im Landtag ein tolles Erlebnis. Jede Aufregung ist nach der Gesprächsrunde verflogen und beide sind stolz, einer Ministerin von ihren guten Erfahrungen berichten zu können. Und wer weiß, vielleicht kommt die Ministerin der spontan ausgesprochenen Gegeneinladung nach und schaut sich Julians Familienklasse einmal mit eigenen Augen an.
(Westfalen-Blatt online, abgerufen am 08.11.2022)